Im Jahre 1914, also vor genau 110 Jahren, gründeten eine Handvoll musikbegeisterter Lutzenberger den Musikverein. Blasmusik war damals gross im Trend und schon bald gab es in praktisch allen Gemeinden einen Musikverein. Kein Wunder, denn weder Radio noch Fernsehen oder andere Annehmlich­keiten boten Konkurrenz. Wer nicht turnen wollte, war Mitglied in einem Chor, oder eben in einem Musikverein. Ein Instrument zu erlernen, war damals in den ländlichen Regionen oft nur als Mitglied in einem der zahlreichen Musikvereinen möglich.

Heute, nach über 100 Jahren, hat sich die Situation dramatisch verändert. Neue Freizeitbeschäftigungen und Angebote schiessen wie Pilze aus dem Boden. War es früher Aufgabe der Musikvereine, bieten seit Jahren Musikschulen bereits ab dem Primarschulalter breit gefächerte Ausbildungen an. Ein Blick in die Musikwelt zeigt: Noch nie wurde so viel musiziert, und dies erst noch in teilweise hervorragender Qualität. Bei der Blasmusik kommt es vor, dass Jugendmusikformationen an Wettbewerben besser abschneiden als gestandene Musikvereine. Haben hier die Musikvereine versagt?

Erwin Sonderegger, seit Jahren «Tätschmeister» beim Musikverein, welcher mit einem Dreiergremium im Vorstand auch ohne Präsident bestens funktioniert, verneint diese Annahme.

Er verweist einerseits auf das wie schon erwähnte grosse Angebot, wozu in der Musikwelt auch die Elektronik eine tragende Rolle spielt. Blasmusik in einem kleinen Dorfverein ist bei den «Jungen» heute kaum gefragt. Andererseits hat die Einrichtung von Musikschulen vor Jahren dazu geführt, dass Eltern ihre musikinteressierten Kinder lieber in einer Musikschule ausgebildet haben wollen, statt sie vielleicht erste Schritte in einem Musikverein machen zu lassen. Wünschenswert wäre sogar eine Kombination von beiden Möglichkeiten.

Mit Einsatz und Begeisterung

Dass man auch mit einer kleinen Zahl an Aktivmitgliedern durchaus bestehen kann, beweist der Musikverein Lutzenberg. Mit Einsatz und Begeisterung zieht der Lutzenberger Verein sein «Ding» durch. Statt vor der Tatsache zu resignieren, dass im Appenzeller Vorderland nur noch gerade zwei Dorf- Musikvereine bestehen, sind die Akteure um Erwin Sonderegger kreativ, wenn es um den Erhalt ihres Vereins geht. Fehlende Register werden durch Mitglieder befreundeter Musikvereine besetzt, so bleibt die Einheit bestehen. Unterstützung erhält der Musikverein von seinen Fans. Da wird kaum ein Anlass ausgelassen um den Klängen der Blaskapelle zu frönen. Eine weitere Stütze bilden die vielen Passiv- und Gönnermitglieder, sowie die Gemeinde Lutzenberg. Nebst Einnahmen aus Veranstaltungen, wie z. B. dem Lottomatch, kann der Verein ohne finanzielle Hilfe nicht bestehen. Zur Hauptsache schlagen die Kosten für die Entlöhnung des Dirigenten und der Unterhalt oder die Anschaffung von Instrumenten stark zu Buche. Von Uniformen darf höchstens geträumt werden. So wird z.B. ein alter Bass erneut repariert, obwohl er längst ersetzt werden müsste, da er die erwartete Klangqualität nicht mehr erbringen kann.

Sonderegger nimmts mit Humor und dies wortwörtlich: An keiner Probe wird nebst der Ernsthaftigkeit beim Musizieren viel gefachsimpelt, über Gott und die Welt diskutiert, aber vor allem sehr viel gelacht. Unter anderem auch darüber, weil die Töne beim reparierten Bass nicht mehr ganz der Norm entsprechen.